Das 'Personal' gehört abgeschafft

Anna Dollinger über Sprache im Business (managerSeminare April 2017)

Wir befinden uns im Zeitalter der dritten oder – je nachdem, wo man zu zählen beginnt – der vierten industriellen Revolution. Digitalisierung und Globalisierung verändern die Anforderungen an unsere Organisationen, unsere Arbeitsprozesse und unsere Art der Zusammenarbeit. Unternehmen, Fachbereiche und Führungskräfte müssen sich neu erfinden. Begriffe wie New Work, Shared Leadership, Coworking Spaces signalisieren dies.

Doch wenn ich in Dialoge und Diskussionen hineinhöre, fällt mir auf, dass aktuell nach wie vor Worte wie Personal, Personaler oder Belegschaft unsere Sprachwelt prägen. Begriffe also, die aus dem Zeitalter der ersten industriellen Revolution stammen. Personal – das waren einmal die Dienstleister in Haushalten bürgerlicher oder adeliger Familien: die Köchinnen, Wäscherinnen und Dienstmädchen. Dieses Personal war extrem abhängig vom Wohlwollen der „Herrschaft“. Es hatte genau das zu tun, was die Herrschaft wollte. Eigenen Willen oder eigene Vorstellungen zu realisieren war undenkbar. Den quantitativ höchsten Bedarf an Dienstpersonal in Westeuropa gab es im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Im Jahr 1882 waren laut Wikipedia in Berlin 96,8 % des Personals weiblichen Geschlechts. Die Beschäftigung männlichen Dienstpersonals war auf großbürgerliche und adelige Haushalte beschränkt, da Männer einen höheren Lohn erhielten. Dienstmädchen unterschieden sich von Mägden (und Knechten) dadurch, dass Letztere die „niederen“ und körperlich härteren Arbeiten ausführten. Für bürgerliche und adelige Haushalte war die Beschäftigung von Dienstpersonal ein wesentliches Merkmal, das den eigenen Stand und das eigene Ansehen betonte. Die Anzahl des Dienstpersonals, über das man verfügte, konnte das eigene Ansehen beträchtlich erhöhen.

Warum ich das hier so ausführlich erkläre? „Die Grenze meiner Sprache ist die Grenze meiner Welt“, schrieb der Philosoph Ludwig Wittgenstein und unterstrich damit, dass unsere individuelle Weltsicht auf inneren Landkarten basiert. Diese mentalen Landkarten haben wir aufgrund unserer individuellen Lebenserfahrungen aufgebaut, mithilfe unserer Sprache und unserer sensorischen Repräsentationssysteme. Sie entscheiden – unwillkürlich und oft unbewusst – darüber, wie wir die uns umgebende Welt interpretieren, und wie wir auf sie reagieren.

Viele wissenschaftliche Experimente beweisen, dass Menschen über Sprache einen Deutungsrahmen aufbauen, der dann ihr Verhalten entscheidend beeinflusst. Lesen Menschen Texte, in denen Worte wie Rente, Alterssitz und Krankheit vorkommen, bewegen sie sich danach signifikant langsamer als Menschen, die diese Wörter nicht gelesen haben. Der Nobelpreisträger Daniel Kahneman beschreibt solch ein Experiment in seinem Buch „Schnelles Denken langsames Denken“ aus dem Jahr 2011.

Es geht sogar noch subtiler: In einem Experiment lasen Menschen einen Text, in dem das Wort Gepard vorkam, während die Vergleichsgruppe denselben Text las, nur, dass darin statt Gepard das Wort Schildkröte vorkam. Anschließend schätzten die Leser das Schritttempo eines Mannes auf einem Foto ein. Die Gruppe, die die Version mit dem Gepard gelesen hatte, schätzte das Tempo des Mannes signifikant höher ein als die Schildkröten-Gruppe.

Nur etwa zwei Prozent unseres Denkens sind uns bewusst. Primings (Frames) in unseren Köpfen lösen eine völlig automatisierte, selektive Aktivierung von komplexen Gedächtnisinhalten aus – und prägen so unser Verhalten. Wenn also bereits derart harmlose Worte wie Gepard und Schildkröte eine solche Wirkung haben, welche Wirkung haben dann erst Begriffe wie „Personal“ oder „Belegschaft“? Welche unbewussten Assoziationen aktivieren wir in unseren Köpfen, wenn wir von „Personal“ sprechen? Und welches Verhalten lösen wir damit aus?

Begriffe wie Belegschaft oder Personal weisen auf überindividuelle Ordnungen hin, in denen Menschen nicht persönlichen Interessen folgend Leistungen erbringen, sondern auf Weisungen hin Arbeiten auszuführen haben, für die sie entlohnt werden. Assoziationen der „Unselbstständigkeit, Abhängigkeit und Minderwertigkeit“ tauchen auf. Leistung „gehört“ (?) dem Unternehmen. Das Personal also auch?

Begriffe gestalten Realitäten. Und neue Begriffe gestalten neue Realitäten. Wir sollten daher achtsamer sein in der Ver- und Anwendung unseres entscheidenden Werkzeugs: der Sprache. Wir sollten darauf achten, welches konnotative Umfeld mit einem Wort aktiviert wird. Wer will, dass neue Ideen eine Zukunft haben, der muss auch die damit verbundenen Begriffe bewusst wählen. Denn Worte und Sprache können vorhandene Erfahrungen und Aktivitäten in unserem inneren Repräsentationssystem immer wieder unterstreichen und verstärken – oder eben auch verändern. Sprache kann Dinge verändern und Neues schaffen. Eine der zentralen Erkenntnisse der Psychologie lautet, dass man in ein und derselben Realität mehr Wahlmöglichkeiten entdecken wird, wenn es einem gelingt, seine eigenen Landkarten zur Welt zu verändern, anzureichern und zu erweitern.

Wenn wir also eine New-Work-Welt der „SharePoints“ und „Collaboration“, eine Welt der „Augenhöhe“ wollen, dann sollten wir Begriffe wie Angestellte, Personal oder Personaler ersetzen. Zum Beispiel durch den Begriff Mitarbeiter, der deutlich wertschätzendere und aktivierendere Assoziationen auslöst und mehr Impulse in Richtung Eigeninitiative und Verantwortung setzt. Die Begriffe für den Bereich Personal oder Human Resources (!) könnten ersetzt werden durch einen Begriff wie „Bereich für Mitarbeiter-Angelegenheiten“, „Bereich für Mitarbeiterbeziehungen“ oder „Human Relations“. 

Letzteres haben einige Unternehmen bereits getan. Kienbaum hat kürzlich die Position eines Chief People Officers geschaffen. Was heißt das, wenn ihn die Mitarbeiter beim Wort nehmen? Und der Vorstand eines Weltkonzerns – Dieter Zetsche von der Daimler AG – eröffnete eine Ansprache mit „Liebe Kolleginnen und Kollegen“ und meinte damit glasklar alle Mitarbeiter. Die Aussage fand derart viel Aufmerksamkeit im Netz, dass daraufhin der Server kurzzeitig zusammenbrach. 

„Verändere Deine Worte, und Du änderst Deine Welt“, schreibt die Autorin Andrea Gardner in ihrem gleichnamigen, 2016 erschienenen Buch. Stimmt genau. Denn Worte sind viel mächtiger, als wir glauben.